Verhalten im Dojo
Das Dojo bedeutet wörtlich "Do": der Weg und "jo": der Ort, an dem man den Weg studiert. Das Dojo besitzt einen würdevollen (heiligen) Charakter. Es ist wie ein Tempel. Es ist ein Platz, zu dem man geht, um sich zu sammeln, um zu üben. Ganz allgemein ist das Dojo nach einer genauen Vorgabe errichtet, die ihm seinen Charakter verleiht. Um dies zu verstehen, muß man auf die japanische Mythologie zurückgreifen.
Seine vier Seiten stehen für die vier Himmelsrichtungen (shiho). Wir beginnenden mit Kamiza, das heißt da, wo die Götter (Kami) sind. Das ist im Osten ... nur der Lehrer sitzt vor Kamiza. Für den Schüler ist es wichtig, sich nie, auch nicht während eines Kurses, vor Kamiza zu setzen. Gegenüber ist Shimoza. Dies ist der Ort, an dem alle Schüler sitzen. Aus der Sicht des Lehrers sitzen ganz rechts die Anfänger, und je höher man in der Aikido-Hierarchie steigt, umso weiter links plaziert man sich. Die Seite rechts nennt sich Shimozeki, dort sitzen die Zuschauer und eingeladen Gäste. Gegenüber, links vom Lehrer, auf der Seite der älteren Schüler, ist Joseki. Dort sitzen die vom Meister eingeladen Assistenten. Links vom Lehrer, nahe Kamiza können Ehrengäste vom Range des Lehrers
aufwärts sitzen.
So ist also das Dojo organisiert. Es steht Sinnbildlich für eine Rotation. Man tritt ein an Shimoza, ganz rechts, und Schritt für Schritt entwickelt man sich entlang Kamiza hin zu Joseki. Man
wird Schüler, dann Schüler-Uke, schließlich selbst Lehrer. Es gibt hier einen Bezug mit den Elementen Erde-Wasser-Feuer ... Es ist von Bedeutung, daß man seinen Platz zwischen den Neulingen und
den älteren Schülern findet. Vom Lehrer aus gesehen sitzen die Anfänger ganz rechts, die Fortgeschrittenen ganz links.
Ein weiteres wichtiges Element der Etikette ist das Grüßen durch Verneigung. Der Schüler verneigt sich immer im Sitzen (seiza). Dazu legt man die Hände vor den Knien mit der
Handinnenfläche nach unten auf dem Boden ab. Daumen und Zeigefinger beider Hände sollen sich so berühren, daß daraus ein Dreieck entsteht. Sodann beuge den Oberkörper nach vorne, so daß die
Stirne die Mitte der beiden Hände berührt, dann richte dich wieder auf, atme leicht ein, und wenn die Hände sich vom Boden lösen, atme wieder aus. Beende das Ausatmen, wenn Du wieder aufrecht
sitzt.
Zu Beginn eines Kurses, wenn der Lehrer noch nicht eingetroffen ist, setzt man sich an «seinen richtigen» Platz und bleibt da ruhig in seiza sitzen. Natürlich ohne zu palavern.
Das Dojo ist kein Ort, um sich zu unterhalten. Man übt sich hier in Meditation oder einfach nur im stillen sich sammeln. Man wartet. Dieses Warten ist bereits eine Übung.
Wenn ihr zufällig zur spät zum Kurs kommt, setzt euch sofort außerhalb der Tatami in seiza und wartet. Wenn der Lehrer zu Euch hinschaut, grüßt und wenn er Zeichen gibt, auf die
Matte zu kommen, tut dies ganz normal und grüßt dabei Kamiza. Dann reiht euch sofort in die laufende Übung ein. Habt soviel Feingefühl, keine eigene Gymnastik und Aufwärmung zu betreiben, während
der Kurs schon läuft. Betretet nie das Dojo während Shinkokyu, dem Eröffnungsritual eines Kurses.
«Mukuso», das ist die Meditation
Wir haben dabei zwei Übungsteile: die Sitzhaltung und die Betrachtung der Bewegung unserer Gedanken. In dieser Sitzposition, ohne etwas zu tun, ohne etwas zu denken, während man also nur so
sitzt, stellt man ein Kommen und Gehen der Gedanken fest, eine ständige Unruhe. Es kann nun eine Meditationsübung im Aikido sein, diese Bewegung der Gedanken zuzulassen, ohne irgendwie
einzugreifen, bis sie sich beruhigen, auch ohne die Absicht, sie beruhigen zu wollen. Man behält einfach die Sitzhaltung bei. Anfangs ändert sich diese Position sehr rasch und es treten
Kniebeschwerden auf, Schmerzen in den Knöcheln, den Füßen, im Beckens, im Rücken, im Lendenwirbelbereich. Diese Sitzhaltung entspricht trotzdem einer natürlichen Sitzposition. Die Schmerzen sind
nur Ausdruck der durch unsere Zivilisation entstandenen Verspannungen (auch seelischer Art). Durch das Üben des Sitzens lernen wir, unbewußt angespannte Muskelpartien zu entspannen und steigern
so unser allgemeines Wohlbefinden. Verhalten während des Kurses ... Es ist ausschließlich die persönliche Erfahrungen mit dem Körper, die uns erlaubt, Aikido zu verstehen. Wenn
man mit einem Partner zu üben beginnt, dann übernimmt der Fortgeschrittenere die Rolle von Shite, der, welcher die Technik macht. Der andere, nicht so Fortgeschrittene spielt
Uke, der, welcher fällt. Selbstverständlich wird dann gewechselt. So ist es üblich, wenn nicht der Fortgeschrittene es anders entscheidet. Übt man in Gruppen, ist es genauso. Die Schüler spielen
die Rolle des Shite in der Reihenfolge der Hierarchie. Man gebraucht die Bezeichnungen «shite», «uke», «nage», «tori», «seme», um den Aikido-Ausübenden ihre jeweiligen verschiedenen Positionen
zuzuordnen.
«Shite» leitet sich ab von «suru», was soviel heißt wie «tun», der, welcher Ausführt. «Nage» kommt von «nageru»: werfen. «Uke» kommt von «ukeru», was soviel
heißt wie «empfangen». Es ist derjenige, welcher erleidet, der den Angriff empfängt, der die Energie erhält. Uke ist die Position des Schülers. Ist man uke, dann ist man Schüler desjenigen, der
wirft. Man ist uke des Lebens, man ist uke eines Meister. Uke sein heißt Schüler sein. Dies ist der einzige Begriff, der allen Aikido-Schulen gemeinsam ist. «Tori» kommt vom
«toru», dies bedeutet nehmen. Der, welcher nimmt. Man gebraucht tori auch anstelle shite, der, welcher die Bewegung ausführt. Tatsächlich mag es hier vielleicht eine Verwirrung geben. Zum
Beispiel bei den Greif-Angriffen: Tori, ist derjenige, welcher greift. Dann wird aber die Rolle getauscht. Der Angegriffene übernimmt, und tori wird zu uke, uke wird zu tori.
Gleichermaßen benützt man «seme» (semeru = angreifen), das ist wiederum derjenige, der angreift. Während er angreift, kommt uke (der, welcher empfängt) dem Angriff zeitlich zuvor
und uke wird zu seme, seme zu uke. Man sagt: «uke soku seme, seme soku uke», um den Rollenwechsel auszudrücken. Um dies gut zu verstehen, verweise ich auf das Kapitel «Aikiken». Der Begriff seme
scheint mir ungebräuchlicher, jedoch in unserem Aikido gebrauchen wir ihn genauso wie uke.
Verhalten gegenüber dem Lehrer, dem Meister
Jetzt komme ich zu sprechen auf das Verhalten im Dojo während des Kurses und an jedem anderen Ort und zu jeder anderen Zeit gegenüber dem Lehrer und viel mehr noch, dem Meister. Es gilt immer
Distanz zu halten, den Unterschied in der Hierarchie durch eine respektvolle Haltung zum Ausdruck zu bringen. Dies geschieht durch die Formen der Höflichkeit und einer gewissen Zurückhaltung.
Dazu gehört, den Lehrer während des Kurses nicht laut anzusprechen oder zu fragen, wenn man Fragen stellt, sie nicht so zu formulieren, daß der Lehrer genötigt wäre, mit "ja" oder "nein" zu
antworten. Es gilt, immer bescheiden zu sein, in bezug zum Lehrer seinen Platz zu finden. Der Schüler, der diese Bezeichnung verdient, weiß dem Lehrer die Belastungen abzunehmen, die er
übernehmen kann, wie z. B. die Tasche tragen, den Hakama falten, Jo und Bokken tragen usw. Alle diese Aufgaben sind Pflicht eines jeden Schülers. Diese Haltung der Ehrerbietung des Respekts
gebührt nicht ausschließlich dem Lehrer. Sie gilt gleichermaßen für alle sempai, alle Fortgeschrittenen, die vor Dir begonnen haben. Mancher denkt, für den Lehrer ist es üblich, nicht aber für
die sempai auch noch! Hier irrt, der so denkt. Das wichtige ist nicht die Person, der man gegenüber ist, sondern den Respekt der Hierarchie zu erweisen. Dies ist eine Übung. Durch eine solche
Haltung kann man lernen, sich selbst kennenzulernen, und man trägt zur Ausgewogenheit eines Übungssystems für alle bei. Man entwickelt seine Aufmerksamkeit. So kann man sein Ego
kennenlernen.
Auch im Dojo gibt es allgemeine Verhaltensregeln, die es zu kennen und respektieren gilt. ... Das Dojo ist ein Ort der inneren Sammlung. Man verrichtet keine Tätigkeiten, die nicht in Bezug zur
Übung stehen. Man macht dort nichts außer der Übung. Es gibt dort auch nur eine Sitzposition, nämlich seiza. In einem Dojo existiert keine andere korrekte Sitzhaltung. Man sitzt in seiza oder man
befindet sich in übender Aktion. Es gibt keine anderen Möglichkeiten. Unglücklicherweise kann man in Dojos mitunter andere, laschere Haltungen beobachten. Solche gilt es zu unterlassen. Man muß
daran arbeiteten, daß es den Aikidoka möglich ist, in seiza sitzen zu können.
Des weiteren trägt man immer Dojo die erforderliche Kleidung, eine solche, die zu der jeweiligen Übung paßt, im Aikido also ein Dogi und, wenn man shodan ist oder vom Lehrer die Erlaubnis hat,
den Hakama. Dogi und Hakama, müssen immer einwandfrei sauber und gepflegt sein. Der Hakama ist ein Kleidungsstück, dem Respekt gilt. Er besitzt eine gewisse Würde und es ist ganz allgemein im
Bodo sehr wichtig, diesen Respekts immer zu erweisen. Der Hakama drückt den freiwilligen Eintritt, die intensive Beschäftigung mit der Übung aus. Wenn man den Hakama anzieht, tritt man in Aikido
ein. ...
Se no undo
Zum Ende des Kurses läßt der Lehrer im allgemeinen «se no undo» ausführen, wörtlich Gymnastik des Rückens. Se, das bedeutet Wirbelsäule, senaka.
Diese Gymnastik zum Schluß, dazu da, den Körper ein wenig zu dehnen, Muskelverspannungen zu lösen, die durch viel Fallen hervorgerufen wurden, ist eine sehr gesunde Übung, welche alle ohne Risiko
ausführen können. Zuerst ist es notwendig, einen guten Stand im Gleichgewicht zu finden und sein Becken unter das Becken des Partners abzusenken, bevor man ihn auflädt. Danach ist es nicht nötig,
ihn kräftig durchzuschütteln, wie man häufig sehen kann. Es ist ausreichend, eine kleine, leichte Wiegebewegung des Körpers auszuführen. Schließlich, wenn man den Partner wieder ablädt, geht man
in die Knie, bis seine Füße den Boden berühren, dann richtet man sich auf (und den Partner mit). Auf diese Weise vermeidet man das ganze Gewicht des Partners auf den Füßen und damit verbundene
Verletzungsgefahr.
Am Ende des Kurses läßt der Lehrer in Linie absitzen (sei ritsu).... Dann bleiben die Schüler am Platz sitzen, solange der Lehrer das Dojo nicht verlassen hat. Mindestens zwei Schüler halten sich
bereit, um den Hakama des Lehrers zu falten und Jo und Bokken zu tragen. Dann, wenn der Lehrer das Dojo verläßt, drehen sich die Schüler in seine Richtung und grüßen. Danach versucht jeder einen
sempai zu finden, um ihm den Hakama zu falten. Danach dankt man jedem sempai, mit dem man im Kurs geübt hat, indem man ihn mit den Worten «domo arigato gozaimashita» grüßt.
Das Hakama-Legen geschieht immer in seiza. Wenn man den Hakama gefaltet hat, übergibt man ihn seinem Besitzer und dankt. Die Höflichkeit will es, daß ein Rangniederer Schüler seinen Hakama nicht
zum Legen abgibt, bevor die Ranghöheren (sempai) die ihrigen übergeben haben. Man gibt sein Hakama dem Schüler, der ihn wirklich will und dankt im voraus.
Einige Anmerkungen
Das Gefüge, welches aus den vielfältigen Beziehungen entsteht, wenn man diese Prinzipien beherzigt, ist selbst eine wirkliche Form der Meditation. Der Schüler, der diese Prinzipien leben will,
beobachtet ständig seine Handlung, seine Haltung. Er entwickelt seine Aufmerksamkeit und weckt sein inneres Bewußtsein. Mit dieser Gymnastik des Denkens, des Egos und des Geistes, diesem
geistigen Aiki-taiso, erzeugt man eine Energie, die uns befähigt, unsere Bestimmung zu erkennen. Es ist auch eine Gymnastik unserer Gefühle. Man tritt ein in Begriffe, die in unserer Gesellschaft
nicht mehr gebräuchlich sind, die Bescheidenheit und von da aus das Erhabensein. Bescheidenheit ist immer die Haltung des Schülers gegenüber seinem Meister. Wenn ihr die Bedeutung dieser Übung
nicht einseht, dann versucht es trotzdem. Glaubt ja nicht, daß ihr euch kasteien müßt, daß es sich um einem Zwang handelt oder eine Unterwerfung des Schülers. Absolut nicht. Für diesen ist es ein
wirkliches Hilfsmittel, sich zu entwickeln....
(Es folgen persönliche Erlebnisse von André Cognard; Anmerkung des Übersetzers.)
Übersetzt und interpretiert: Walter Oelschläger, 1990